acabou

Schon seit einigen Monaten bin ich nun wieder zurück in meiner Heimat. Mein Auslandsjahr war ein zeitlich begrenztes Abenteuer und ich wusste schon beim Abflug, dass es irgendwann zu Ende sein wird. Doch auch wenn ich jetzt wieder ganz normal weiter in die Schule gehe, so werde ich für immer ein bisschen "Austauschschülerin" bleiben. Und das nicht nur, weil all meine Erlebnisse und Erfahrungen mich geprägt haben. Ich möchte mich weiterhin für den Austausch bei YFU engagieren, indem ich werdende Austauschschüler und internationale Austauschschüler, die gerade in Deutschland sind, betreue und ihnen zur Seite stehe. Wer selbst an einem Austausch interessiert ist, kann mich gerne kontaktieren.
Der Austausch ist außerdem nur durch Gastfamilien möglich. Ich habe in Brasilien sehr viel Gastfreundschaft erfahren, die meine Familie und ich nun zurück geben möchten. Deshalb haben wir einen jungen Austauschschüler aus Mexiko bei uns aufgenommen, der jetzt seit Anfang September bei uns wohnt. Das Zusammenleben mit ihm ist sehr bereichernd und es ist für uns alle sehr schön, ein neues Familienmitglied und einen Freund gewonnen zu haben. YFU sucht ständig Menschen, die Jugendlichen ein Zuhause für ein Jahr geben möchten. Informieren kann man sich unter yfu.de/gastschueler-aufnehmen.

Da ich Botschafterin Bayerns war, wurde ich jetzt auch zur Stipendienverleihung der diesjährigen Botschafter Bayerns ins Kultusministerium eingeladen und durfte eine Rede halten:
"Mar calmo nunca fez bom marinheiro.". Das ist Portugiesisch, die Heimatsprache in meinem Gastland Brasilien und bedeutet "Eine ruhige See machte noch nie einen guten Seemann." Ein Spruch, der finde ich, sehr gut ein Auslandsjahr beschreiben kann. Vor einem Jahr habe ich meinen sicheren Hafen im Allgäu verlassen und habe mich aufgemacht in die große, weite Welt. Ich schwamm im Amazonas und ich stand auf dem Zuckerhut in Rio de Janeiro. Ich habe Capoeira - eine brasilianische Kampftanzkunst, Portugiesisch und Surfen gelernt. Ich habe es geschafft, mich in einem anderen Land, einer neuen Kultur, einer neuen Stadt, einer neuen Schule und einer neuen Familie einzuleben und wohl zufühlen. Jetzt darf ich Laguna, ein kleines Küstenstädtchen im Süden Brasiliens als mein zweites Zuhause bezeichnen. 
Es war ein riesiges Abenteuer und eine unglaublich schöne Erfahrung. Doch es war nicht immer nur schön und es war auch nicht immer nur leicht. Wer sich für eine Auslandsjahr entscheidet, der weiß, dass man stark sein muss. Plötzlich wird sich nicht mehr eure Mutter um alles kümmern können. Ihr werdet eigenständiger werden. Und ihr werdet noch so viel mehr lernen. Ich denke, ich bin nicht die erste, die euch das sagt, doch nutzt jede Chance. Am Ende bereuen wir nur die Dinge, die wir nicht getan haben und ihr habt nur ein Jahr im Gastland. Nutzt diese Zeit und wagt euch immer wieder in fremde Gewässer.
Ihr werdet euch in Situationen wiederfinden, die ihr noch nie erlebt habt. Und ihr werdet Probleme lösen müssen, die ihr euch noch nie vorgestellt habt. Ich wünsche euch, dass ihr diese Probleme als Herausforderungen sieht. Dass ihr euch von Wellen nicht unter Wasser drücken lässt, sondern dass ihr lernt, auf ihnen zu surfen. Ich habe vermutlich eine sehr positive und optimistische Einstellung, doch ich muss sagen, dass ich dankbar bin, für jede Schwierigkeit, die mir im Ausland begegnet ist. Ich habe sehr viel dazu gelernt und bin vermutlich nicht nur auf dem Papier 18, sondern auch im Kopf erwachsen geworden.
All meine Erfahrungen und Erlebnisse in Brasilien sind Dinge, die ich nicht missen möchte.
Ich hoffe, auch ihr werdet das Beste aus eurer Zeit im Austauschjahr machen. Ich wünsche euch, dass euch die stürmische See keine Angst bereitet, sondern dass ihr alle in einem Jahr als eine der besten Seemänner und -frauen wieder zurück in euren Heimathafen einfahren könnt.

Ich wurde für mein Stipendium gebeten, einen abschließenden Bericht zu schreiben:
Vor einen Jahr habe ich meinen Heimathafen verlassen und mich aufgemacht in andere, mir unbekannte Welten. Den Anker fallen gelassen habe ich in Laguna, einer kleinen Küstenstadt im Süden Brasiliens. Gewohnt habe ich bei und mit meinen Gastelter und meinem 24-jährigen Gastbruder. Sie haben sich während des Jahrs zu sehr wichtigen Personen in meinem Leben entwickelt. Mit meinem Gastpapa war ich oft an den naheliegenden Stränden beim Wandern. 
Er hat dann Fisch gefangen, der später mit der ganzen Familie zum obligatorischen Reis und Bohnen zu Mittag gegessen wird. Reis und Bohnen gibt es in Brasilien in den meisten Familien tatsächlich jeden Tag. Typisch ist auch die brasilianische Art zu grillen. Beim churrasco werden große Stücke Fleisch in grobkörnigem Salz gewälzt, auf Spießen gegrillt und danach in kleine Streifen geschnitten. Ich habe vermutlich noch nie so gutes Steak wie in Brasilien gegessen. Das Haus meiner Gastfamilie steht auf einem besonderen Viertel meiner Stadt. Andere Stadtteile werden weder zu Fuß, noch mit dem Auto erreicht. Da Laguna an einer Lagune liegt, ist die Stadt auf zwei Halbinseln aufgeteilt. Um von einem Ufer zum anderen zu kommen, muss man per Boot einen Kanal überqueren. 
Diesen Weg musste ich auch zurücklegen um zur Schule zu kommen. Meine Schule war eine Privatschule. In jedem Jahrgang gab es nur eine Klasse, meine bestand aus zwanzig Schülern. Die brasilianische Schule beginnt im Kindergartenalter, Kleinkinder werden also im gleichen Haus wie Abschlussschüler unterrichtet. Neu für mich  war auch Schuluniform. Diese sah an meiner Schule weinrot und weiß aus und bestand aus einer Jogginghose, einem T-Shirt und einer Jacke oder Hoodie, sehr bequem also.  
Ein bisschen vermisse ich diese in Deutschland mittlerweile vielleicht sogar, es ist so schon einfach jeden Morgen aufstehen zu können und sich nicht auch noch Gedanken um die Kleidung machen zu müssen. Anders in Brasilien ist auch die Umgangsweiße mit den Lehrern. An meinem ersten Tag wurde ich zur Begrüßung von den meisten von Ihnen herzlich umarmt. Angesprochen werden sie mit den Vornamen und allgemein eher wie Freunde behandelt. 
Ein Fremder bleibt in Brasilien nicht lang fremd und wird schnell zum amigo. Die offene und fröhliche Art ist etwas, das den Brasilianer ausmacht. Sie wollen nicht über das traurig sein, was sie nicht haben, sondern sich an dem freuen, das sie haben. 
Besonders fröhlich sind Brasilianer im Sommer. Diesen habe ich hauptsächlich am Strand verbracht und sogar surfen gelernt. Mitte Februar ist der vermutliche Höhepunkt des brasilianischen Jahres: der Karneval. Der Karneval von Laguna wird oft als der schönste im Süden Brasiliens betitelt. Der Höhepunkt der Karnevalswoche war am Sonntag. Zum bloco da pracinha haben sich ca. 150.000 Menschen auf der Straße versammelt, um zusammen vom Nachmittag bis in die Morgenstunden zu feiern. 
Während des Jahres konnte ich an besonderen Reisen teilnehmen und gemeinsam mit anderen Austauschschülern weitere Ecken des vielfältigen Lands Brasiliens kennen lernen. Im Januar bin ich nach Rio de Janeiro geflogen. pätestens, als ich auf dem Zuckerhut stand und eine einzigartige Sicht über Rio hatte, habe ich mich in diese Stadt verliebt. Es war eine unglaublich schöne Woche und ich habe mich sehr gefreut, internationale Freundschaften schließen zu dürfen. 
Ganz besonders war auch meine Amazonasreise. Auf einem Boot sind wir eine Woche durch den Regenwald, haben in Hängematten geschlafen, die unglaubliche Natur, Siedlungen am Fluss und deren Bewohner kennen gelernt und erkundet. 
Doch auch wenn diese Reisen und der Karneval natürlich Höhepunkte meines Jahres darstellen, so war das besondere dennoch das komplette Eintauchen in eine andere Kultur. It's not a trip or vacation, it's a second life behaupten oft Austauschschüler über ihre Erfahrungen. Ich kann diese Aussage nur bestätigen. Ich bin nicht nach Südamerika nur zum Sightseeing und Betrachten, ich wollte aktiv mit leben. Und wie es im Leben nun mal so ist, gibt es auch Hochs und Tiefs. Bei mir haben die Hochs und schönen Erlebnisse überwogen. Ich bin aber auch dankbar für jedes Tief. Ich möchte Probleme stets als Herausforderungen sehen, die es zu bewältigen bedarf. An all diesen kann man wachsen und lernen. Ich bin dankbar für die Schwierigkeiten, die ich meistern durfte und die mich zu der gemacht haben, die ich heute bin. 
Mittlerweile bin ich wieder sehr gut in Deutschland angekommen. Aber es wird sich wohl nie ändern, dass ich beim Betrachten von Fotos oder beim Hören von brasilianischer Musik ein Gefühl bekomme, das im Portugiesischen saudade genannt wird. Im Deutschen gibt es keine genaue Übersetzung für dieses Wort, das ungefähr Sehnsucht oder Vermissen bedeutet oder von Wikipedia beschrieben wird als „das nostalgische Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, und drückt oft das Unglück und das unterdrückte Wissen aus, die Sehnsucht nach dem Verlorenen niemals stillen zu können, da es wohl nicht wiederkehren wird.“ 
Ich bin sehr froh, den Schritt ins Auslandsjahr gewagt zu haben. Diese Erfahrung hat mich für mein Leben lang bereichert. Ich bin allen, die mir das ermöglicht haben, sehr dankbar. Dies sind natürlich an erster Stelle meine Familien in Deutschland und Brasilien. Aber auch ohne YFU wäre mein Austauschjahr nicht möglich gewesen. Aber nicht zuletzt hat mir das Bayerische Kultusministerium mir durch finanzielle Unterstützung diese Erfahrungen ermöglicht. Es war eine große Ehre für mich, mich Botschafterin Bayerns nennen zu dürfen.

Kommentare